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An die Leitungen der Krankenhäuser im Land Bremen

Gesundheitliche Versorgung behinderter Menschen in Krankenhäusern unter Pandemiebedingungen

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Landesteilhabebeirat der Freien Hansestadt Bremen hat sich anlässlich seiner Sitzung am 02.12.2021 mit den Auswirkungen der Pandemie auf behinderte Menschen befasst. Gesetzlicher Auftrag des Landesteilhabebeirats ist nach § 25 Abs. 2 Bremisches Behindertengleichstellungsgesetz die inhaltliche Begleitung und Überwachung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Land Bremen.

Als Vorsitzender des Landesteilhabebeirats möchte ich Ihnen zunächst für den fortwährenden und hochengagierten Einsatz in der Pandemie zum Wohle aller Patient:innen im Land Bremen herzlich danken.

Angesichts der andauernden Pandemie und der aus ihr folgenden Überlastungsreaktionen im Gesundheitswesen betrachten die stimmberechtigten Mitglieder zunehmend mit Sorge, dass das Höchstmaß an diskriminierungsfreier gesundheitlicher Versorgung, wie es Artikel 25 UN-BRK vorgibt, für einen Teil der Patient:innen mit Behinderungen beeinträchtigt sein könnte. Im Einzelnen sind hierbei zwei Bereiche als problematisch identifiziert worden:

Berücksichtigung der spezifischen Bedarfe behinderter Menschen und Sicherstellung von Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen stationärer Regelversorgung

Angesichts der Notwendigkeit, Ressourcen für die intensivmedizinische Versorgung bereitzustellen, müssen nach den Vorgaben des Gesundheitsressorts Auswahlentscheidungen über die Durchführungen anderer Behandlungen getroffen werden. Behinderte Menschen können hiervon besonders betroffen sein, weil eine Zurückstellung erforderlicher Behandlungen bei ihnen zu schwerwiegenderen Folgen führen kann. Es stellt sich deshalb die Frage, nach welchen Kriterien entsprechende Auswahlentscheidungen getroffen werden und wie dabei sichergestellt werden kann, dass besondere Bedarfe berücksichtigt werden. Hierzu zählen auch die Auswirkungen auf das soziale und familiäre Umfeld sowie die Assistenz- und Unterstützungskräfte der betroffenen Patient:innen mit Behinderungen.

Auswahlentscheidungen im Falle fehlender intensivmedizinischer Versorgung („Triage“)

Nicht mehr ausgeschlossen erscheint, dass der Fall eintritt, in dem über die Bereitstellung intensivmedizinischer Versorgung im Rahmen einer Auswahlentscheidung befunden werden muss. Die Debatte darüber, wie eine Auswahl aus medizinischer und ethischer Sicht getroffen werden kann und wie ein Verfahren zur Durchführung in den Krankenhäusern aussehen kann, wurde in Deutschland durch Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) im März 2020 angestoßen. Die darin enthaltenen Empfehlungen haben zu erheblicher Kritik von Behindertenverbänden geführt, da sie zunächst vorsahen, die Prüfung der Erfolgswahrscheinlichkeit einer Behandlung zum wesentlichen Maßstab zu erklären und diese u.a. von der erreichten Punktzahl auf einer sog. Gebrechlichkeitsskala abhängig zu machen.

Vor zwei Wochen sind die Empfehlungen, die rechtlich nicht verbindlich sind, zum wiederholten Mal aktualisiert worden. Es findet sich darin der Satz, dass eine Priorisierung aufgrund einer Vorerkrankung oder Behinderung nicht zulässig sei. Vorerkrankungen seien zudem nur dann relevant, wenn sie die Überlebenswahrscheinlichkeit hinsichtlich der aktuellen Erkrankung beeinflussen könnten. Indes sind fortgeschrittene Erkrankungsstadien des Herzens, der Niere, der Leber, neurologische oder Krebserkrankungen, die üblicherweise zu Behinderungen führen, als solche aufgezählt, die typischerweise in ihrer Schwere die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich verringern.

Hieraus erwächst eine Unsicherheit, ob diese Vorgaben in der Praxis zur Anwendung kommen und, wenn ja, wie die konkrete Umsetzung erfolgt und wie im Rahmen einer Entscheidungsfindung tatsächlich sichergestellt werden kann, dass behinderte Menschen nicht im Zusammenhang mit ihrer Behinderung diskriminiert werden.
Aus Sicht der stimmberechtigten Mitglieder des Landesteilhabebeirats wäre wünschenswert, die Perspektive von Menschen mit Behinderungen im Rahmen der weiteren Entwicklung dieser schwierigen Fragestellungen systematisch einzubeziehen.

Im Namen des Landesteilhabebeirats darf ich Sie herzlich bitten, dem Beirat Ihre Sichtweise bzgl. einer diskriminierungsfreien gesundheitlichen Versorgung mitzuteilen. Abschließend ferner der Hinweis, dass der Beirat eine Fachveranstaltung zur gesundheitlichen Versorgung behinderter Menschen in Krankenhäusern unter Pandemiebedingungen für das Frühjahr 2022 plant.

Mit freundlichen Grüßen

Arne Frankenstein
Vorsitzender des Landesteilhabebeirats